Das internationale KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment (KATRIN) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat erneut Maßstäbe gesetzt: Aus den gerade in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichten Daten lässt sich eine Obergrenze von 8 x 10-37 kg (oder in der üblichen Einheit 0.45 eV/c2) für die Masse des Neutrinos ableiten. Mit diesem Ergebnis stellt KATRIN, das die Neutrinomasse mit einer modellunabhängigen Methode im Labor vermisst, erneut einen Weltrekord auf. Die KATRIN-Arbeitsgruppe am Exzellenzlcluster ORIGINS und am Sonderforschungsbereich 1258 an der Technischen Universität München haben mit wichtigen Beiträgen zu diesem Erfolg beigetragen.
Neutrinos gehören zu den rätselhaftesten Teilchen des Universums. Sie sind allgegenwärtig, reagieren aber äußerst selten mit Materie. In der Kosmologie beeinflussen sie die Entwicklung großräumiger Strukturen, während sie in der Teilchenphysik aufgrund ihrer winzigen Masse als Indikatoren für bisher unbekannte physikalische Prozesse dienen. Die präzise Messung der Neutrinomasse ist daher essenziell für ein vollständiges Verständnis der fundamentalen Gesetze der Natur.
Genau hier setzt das KATRIN Experiment mit seinen internationalen Partnern an. KATRIN nutzt den Beta-Zerfall von Tritium, einem instabilen Wasserstoffisotop, um die Neutrinomasse zu messen. Die Energieverteilung der entstehenden Elektronen erlaubt eine direkte Messung der Neutrinomasse. Um dies zu erreichen, sind hochentwickelte technische Komponenten notwendig: Das 70 Meter lange Experiment beherbergt eine intensive Tritiumquelle sowie ein hochauflösendes Spektrometer mit einem Durchmesser von 10 Metern. Diese Technologie ermöglicht eine bislang unerreichte Präzision bei der Messung der Neutrinomasse.
Mit den aktuellen Daten aus dem KATRIN-Experiment konnte für die Neutrinomasse eine Obergrenze von 0,45 Elektronenvolt/c2 (das entspricht 8 x 10-37 Kilogramm) abgeleitet werden. Gegenüber den letzten Ergebnissen aus dem Jahr 2022 konnte die Obergrenze damit fast um einen Faktor zwei gesenkt werden.
Auswertung der Daten
Die Qualität der ersten Datensätze seit dem Start der Messungen im Jahr 2019 konnte über die letzten Jahre kontinuierlich verbessert werden. „Wir haben fünf Kampagnen mit gut 250 Messtagen aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 analysiert - das entspricht etwa einem Viertel der insgesamt mit KATRIN erwarteten Datennahme“, erklärt Kathrin Valerius (KIT), eine der beiden Co-Sprecherinnen des Experiments. Susanne Mertens (Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) und Technische Universität München (TUM)) ergänzt: „In jeder Messkampagne haben wir dazugelernt und die experimentellen Bedingungen weiter optimiert.“
Die Auswertung der extrem komplexen Daten stellte eine enorme Herausforderung dar und verlangte dem internationalen Datenanalyseteam höchste Präzision ab. „Die Analyse der KATRIN Daten ist hochanspruchsvoll, da eine bisher noch nie erreichte Genauigkeit benötigt wird“, betont Alexey Lokhov (KIT), Co-Analysekoordinator. Christoph Wiesinger (TUM/MPIK), Co-Analysekoordinator, fügt hinzu: „Wir benötigen den Einsatz hochmoderner Analysemethoden, wobei insbesondere künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielt.“
Um diese Herausforderung zu meistern, hat sich die KATRIN-Gruppe des Exzellenclusters ORIGINS und des Sonderforschungsbereichs “Neutrinos und Dunkle Materie in Astro- und Teilchenphysik” (SFB 1258) an der TUM mit Wissenschaftlern des ORIGINS Data Science Lab (ODSL) zusammengeschlossen. Gemeinsam entwickelten sie eine neue Software namens NETRIUM, die mit Hilfe von neuronalen Netzen eine schnelle und ultra-präzise Vorhersage des Tritiumspektrums erlaubt.
Ausblick
Die Forschenden blicken optimistisch in die Zukunft: „Unsere Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2025 andauern. Durch die kontinuierliche Verbesserung des Experiments und der Analyse, sowie durch eine größere Datenmenge erwarten wir eine noch höhere Sensitivität – und möglicherweise bahnbrechende neue Erkenntnisse“, so das KATRIN Team. Schon jetzt führt KATRIN das weltweite Feld der direkten Neutrinomassenmessung an und hat mit den ersten Daten die Ergebnisse früherer Experimente um das Vierfache übertroffen. Das aktuelle Resultat zeigt, dass Neutrinos mindestens eine Million Mal leichter sind als Elektronen, die leichtesten geladenen Elementarteilchen. Diesen enormen Massenunterschied zu erklären, bleibt eine Herausforderung für die theoretische Teilchenphysik.
Neben der präzisen Neutrinomassenmessung plant KATRIN bereits die nächste Phase. Ab 2026 wird ein neues Detektorsystem, TRISTAN, installiert. Dieses Upgrade des Experiments ermöglicht die Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos im keV/c2 -Massenbereich. Sterile Neutrinos sind bisher hypothetische Elementarteilchen, die nochmals deutlich schwächer interagieren als die bekannten Neutrinos und geeignete Kandidaten für die Dunkle Materie sind. Darüber hinaus wird mit KATRIN++ ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm initiiert, um Konzepte für ein Experiment der nächsten Generation zu erarbeiten, das eine noch präzisere direkte Messung der Neutrinomasse ermöglichen soll.
Die KATRIN Kollaboration
An KATRIN arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von über 20 Institutionen aus 7 Ländern mit.
Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Dr. Susanne Mertens
Max-Planck-Institut für Kernphysik
E-Mail: susanne.mertens(at)mpi-hd.mpg.de
Weiterführende Referenzen:
KATRIN Webseite: www.katrin.kit.edu
Veröffentlichung: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adq9592
Originalartikel: https://www.kit.edu/kit/pi_2025_029_astroteilchenphysik-neutrinos-sind-leichter-als-0-45-elektronenvolt.php