Eine der größten Herausforderungen in der Kernphysik besteht darin, die zwischen Teilchen mit unterschiedlichem Quarkgehalt wirkende starke Wechselwirkung aus den Kräften zwischen den Bestandteilen der Teilchen, den Quarks und ihren Kraftteilchen, den Gluonen, abzuleiten. Berechnungen auf Grundlage der Theorie der starken Wechselwirkung liefern keine verlässlichen Vorhersagen für Nukleonen aus Up- und Down-Quarks (wie Protonen und Neutronen), sondern nur für solche, die auch schwere Quarks enthalten, also zum Beispiel für Hyperonen mit einem oder mehreren Strange-Quarks. Die experimentelle Bestimmung der starken Wechselwirkung zwischen Systemen mit Hyperonen ist jedoch extrem schwierig, da Hyperonen nach kürzester Zeit zerfallen. Ein Vergleich zwischen Theorie und Experiment war daher praktisch nicht möglich.
Laura Fabbietti und ihrem Team an der Technischen Universität München (TUM) gelang es mit Hilfe der Femtoskopie-Technik vor einigen Jahren, dieses Messproblem zu lösen und die starke Wechselwirkung zwischen Systemen aus zwei Teilchen zu bestimmen: Bei Teilchenkollisionen entstehen quarkhaltige Teilchen in äußerst geringen Abständen, die der Reichweite der starken Wechselwirkung entsprechen (1 Femtometer = 10-15 m). Bei Teilchenpaaren, die relativ parallel zueinander emittiert werden und sich nah zueinander weiterbewegen, besteht daher die Möglichkeit einer kurzen Wechselwirkung, bevor die Flugbahnen der Teilchen auseinander gehen. Die resultierende starke Wechselwirkung zwischen den beiden Teilchen kann durch Messung ihrer relativen Geschwindigkeiten während der Wechselwirkungsphase bestimmt werden.
Als natürliche Weiterentwicklung hat sich die Untersuchung von Dreikörpersystemen ergeben. So untersuchte Bhawani Singh, ein Doktorand in der Gruppe Fabbietti, die Signale von Paaren aus Protonen (p) und Deuteronen (d), die bei Proton-Proton-Kollisionen beim ALICE-Experiment am Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf erzeugt wurden. (Ein Deuteron ist ein Deuteriumkern, auch schwerer Wasserstoff genannt, der ein Proton und ein Neutron enthält.) Die beobachteten p-d-Signale konnten nicht durch Zweikörperberechnungen erklärt werden, bei denen Protonen und Deuteronen als punktförmige und unterscheidbare Teilchen behandelt wurden, die in kurzen Entfernungen erzeugt wurden. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des INFN Pisa, der Universität Pisa (Italien) und der North Carolina University wurden daraufhin erstmals umfassende Dreikörperberechnungen durchgeführt. Nur diese Berechnungen, die die innere Struktur des Deuterons, die Dynamik der drei Nukleonen, quantenstatistische Effekte und die starke Wechselwirkung berücksichtigen, konnten die Beobachtungen erklären.
„Die Messungen zeigen, dass es möglich ist, Wechselwirkungen in einem Dreiteilchensystem zu erforschen, indem man die Korrelationen zwischen Deuteronen und anderen Teilchen, die aus Quarks bestehen, untersucht. Sie haben auch das Potenzial, in Zukunft die Effekte echter Vielteilchenwechselwirkungen am LHC zu erforschen“, fasst Laura Fabbietti zusammen, die Inhaberin des Lehrstuhls für Experimentelle Kernphysik an der TUM.
Dies wäre auch ein großer Schritt zur Lösung des Hyperon-Rätsels in Neutronensternen, Fabbiettis ultimativem Ziel. Neutronensterne sind unglaublich dichte Objekte mit Massen von bis zu dreimal der Sonnenmasse und Radien von etwa 5 – 10 km. Die Natur von Neutronensternen ist noch immer ungeklärt. Aufgrund ihrer hohen Dichten wird jedoch erwartete, dass sich in der Sternmaterie Hyperonen befinden. Um die Zustandsgleichung von Neutronensternen zu bestimmen, ist die Kenntnis der Drei- und Mehrkörper-Wechselwirkung zwischen Hyperonen und anderen Nukleonen von entscheidender Bedeutung.
Original publication:
ALICE Collaboration: “Exploring the strong interaction of three-body systems at the LHC”
Physical Review X, 24/09/2024
DOI: 10.48550/arxiv2308.16120
Contact:
Technical University of Munich
School of Natural Sciences
Prof. Laura Fabbietti
Chair on Experimental Nuclear Physics
E-Mail: laura.fabbietti(at)ph.tum.de