Womit befassen Sie sich in Ihrer Forschung?
Für eine erfolgreiche Energie- und Antriebs- und Wärmewende brauchen wir neuartige und leistungsfähige Batterien und Katalysatoren für die chemische Industrie. Der Schlüssel dafür liegt in der Materialforschung, mit der sich mein nun bald dreißigköpfiges Team befasst. Wir arbeiten an der Schnittstelle von Automatisierung, Elektrochemie und Künstlicher Intelligenz. Das große Ziel unserer Forschung ist, neue Materialien aber auch neue Forschungsprozesse zu finden. Das wollen wir erreichen, indem wir Roboter die Materialien herstellen und charakterisieren lassen. Wir synthetisieren also nicht primär Materialien, sondern Daten. Statistisches lernen – oder moderner maschinelles Lernen - hilft uns dann, den Erkenntnisgewinn zu beschleunigen.
Wie gehen Sie vor, um Wissensschätze zu heben?
Batterien setzen sich grundsätzlich aus Anode, Kathode und Elektrolyt sowie sogenannten „inaktiven“ Komponenten zusammen. Diese bestehen wiederum aus Formulierungen und sind das Ergebnis eines Produktionsprozesses. Wählt man die Analogie zum Kochen optimieren wir nicht nur eine Zutat, nicht nur ein Rezept, sondern wir ganze 10-Gänge Menüs und gleichzeitig die Abläufe in der Küche. Es gibt deshalb eine gigantische Anzahl von Ansatzpunkten, um die richtigen Zutaten mit den richtigen Methoden zu kombinieren. Es geht um die Zusammenstellung der Einzelteile, aber auch, wie sie durch unterschiedliche Prozesse zusammengebracht werden. Bei der Batteriefertigung variieren Parameter, an die man gar nicht sofort denkt. Als Forschender verliert man da manchmal den Überblick. Methoden des maschinellen Lernens können uns dabei helfen, uns in diesem stetig wachsenden Daten-Dschungel zurechtzufinden.
Und dabei kommt dann die Automatisierung ins Spiel….
Genau! Mit klassischen händischen Laborverfahren würde es zu lange dauern, so viele verschiedene Batterien und Katalysatoren zu bauen und zu testen. Roboter können das wesentlich schneller als der Mensch. Zum Vergleich: Doktorand*innen bauen während ihrer drei- bis vierjährigen Forschungsarbeit beispielsweise etwa 100-300 Knopfzellen und untersuchen sie. Unsere Robotik-Linie, die wir am Helmholtz-Institut Ulm aufgebaut haben, schafft das an einem Tag. So etwas baue ich jetzt an der TUM für Pouch-Zellen auf. Gleichzeitig werden bei jedem Prozessschritt automatisch Daten wie Fotos und Videos erzeugt. Wir erhalten also viele Informationen aus der gesamten Entstehungsgeschichte einer Batterie, messen anschließend ihre Performance und nutzen all das für unsere Forschung.
Wie verknüpfen Sie den Roboter mit der Künstlichen Intelligenz?
Wir überführen sozusagen das Labor in eine Art digitalen Zwilling und geben die Gesamt- und Teiloptimierung an ein lernendes System. Dieses kann dann eine Erfolgs- und Unsicherheitsabschätzung abgeben, wenn wir eine Komponente oder die Zusammensetzung der Batterie oder eines Reaktors ändern wollen. Wenn wir das System clever fragen, können wir so die Gesamtanzahl an Experimenten deutlich reduzieren. Das kann z.B. durch eine Unsicherheitsquantifizierung gehen: Wir fragen die Vorhersagemodelle also auch danach, wie sicher sie sind. Geht man auch ab und an zu den Punkten, bei denen die Unsicherheit groß ist, lernt man schlichtweg besser. Wir fahren hier im Allgemeinen einen hybriden Ansatz, also repetitive Prozesse macht der Roboter und komplexe oder integrationstechnisch unkritische Dinge erledigen wir.
Worin bestehen die größten Vorzüge von Künstlicher Intelligenz für Ihre Forschung?
Ich würde es eher als kunstfertige Datenverarbeitung bezeichnen. Das ist näher an dem, was wir machen. Das große Glück ist, dass im Gegensatz zu den Laborbüchern von früher mittlerweile vieles in der Forschung digital läuft: Messdaten werden kontinuierlich im Hintergrund gespeichert. Das digitale Datenmanagement ist extrem vorteilhaft, denn Daten werden nebenbei auch FAIR (Findable, Accessable, Interoperable, Reusable) – und damit sind sie nicht nur besser zugänglich und durchsuchbar, sondern sie helfen uns Trends zu erkennen und liefern neue Impulse für die Forschung. Der Traum wäre für mich eine integrierte Daten- und Analyseplattform, also ein komplett durchdigitalisiertes System, das Synthese, Katalyse und Analyse zusammenbringt. Als Forschende bewegen wir uns im Grunde auf unbekanntem Terrain und versuchen eine Art chemische Landkarte in absoluter Dunkelheit zu erkunden. Durch Experimente machen wir Stichproben und erhalten nur einen kleinen Ausschnitt einer bestimmten Region. Mithilfe der Robotik und Künstlichen Intelligenz zeichnen wir für uns nun ein klareres Bild. Es ist so, als würden wir durch einen Helikopter-Flug den Überblick bekommen und mit einem Teleobjektiv reinzoomen können, wo es interessant wird.
Haben Sie dabei schon etwas Spannendes entdeckt?
Fakt ist: Batterien sind heutzutage schon sehr gut und die Verbesserungen in Sachen Kapazität der vergangenen 15 Jahren enorm. Die Materialwissenschaftler*innen haben wirklich großes geleistet. Dennoch tut sich natürlich viel. Wir haben beispielsweise eine Elektrolytformulierung gefunden, die bei niedrigen Temperaturen um den Faktor zwei leitfähiger ist. Das wird interessant, wenn man bei minus zehn Grad sein E-Auto laden möchte. Zudem können wir einen Schritt in der Batteriezellfertigung in den Gigafactories beschleunigen, und zwar die Zellformierung. Sie ist der allerletzte Schritt, der im Verhältnis zu der Batteriekonstruktion recht zeitaufwendig, aber sehr wichtig ist. Dabei wird die frisch zusammengebaute Batterie das erste Mal geladen, und es bilden sich zwischen den Komponenten wichtige Interphasen, die für die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer der Batterie entscheidend sind. Dieser Prozess braucht 20 bis 24 Stunden. Wir haben ein Verfahren entwickelt, das gepulste Laden, was diesen Schritt auf weniger als zehn Stunden reduziert. Gleichzeitig lässt sich dadurch jede Zelle auf ihrer individuell optimalen Formierungsroute halten, sodass diese den Prozess qualitativ hochwertiger verlassen. Diese Idee haben wir auch zum Patent eingereicht. Noch in den USA haben wir einige sehr aktive und stabile Katalysatoren für die Wasserspaltung bei pH 0 gefunden und vieles im Bereich KI patentiert. Wir finden ständig Neues und Unerwartetes. Und wenn das Patentamt unserer Universität grünes Licht gibt oder etwas ablehnt, machen wir mit Patenten und Veröffentlichungen weiter oder stellen die Daten ins System, damit andere sie sich ansehen können.
Sie sind gerade mitten im Aufbau des Labors, heute reist ein wichtiges Gerät an. Das fordert viel Energie und Durchhaltevermögen. Was treibt sie an und sorgt für Ausgleich?
Das stimmt. Viele Dinge kommen erst noch. Wir bauen gerade die Apparatur für die automatisierte Produktion von Pouch-Zellen auf. Was ich sehr mag, ist die Vielfältigkeit meiner Forschung und meines Teams sowie die relative Anwendungsnähe. Mich motiviert es, wenn eine Idee schnell beim Produkt ankommt. Was ich mit meinem Team im Labor mache, kann bereits in einem halben Jahr im Industriemaßstab produziert werden. Kreativität und Vielseitigkeit sind mir wichtig. Das versuche, auch an meine Doktorand*innen weiterzugeben. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserem Werkzeugenkasten – Automatisierung und KI – die Materialforschung deutlich beschleunigen. Ich denke um den Faktor 10 bis vielleicht sogar 100. Neben der Arbeit machen meine Frau und ich viel Sport und sind kulturell unterwegs. Wir haben kürzlich Krav Maga neben dem Reisen entdeckt. Da ich vom Auto komplett aufs Fahrrad und ÖPNV umgestiegen bin, ermöglicht es mir mein Fahrradtraining mit dem Weg nach Garching zu vereinen. Mein Ziel ist es dieses Jahr wieder die 7.000 km Marke zu knacken. (Autor: Caroline Zörlein)
Herzlichen Dank für das interessante Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Erfolg für Ihre Forschung an der TUM und bei e-conversion!
Kurzprofil
Helge Stein studierte Physik (2008-2013) an der Georg-August-Universität Göttingen. Er promovierte an der Ruhr-Universität Bochum (2017) über Hochdurchsatz-Methoden im Fachbereich Maschinenbau. Anschließend ging er für einen Postdoc-Aufenthalt an das California Institute for Technology (USA), wo er als Material Data Engineer am Joint Center for Artificial Photosynthesis (JCAP) arbeitete. Im Jahr 2020 trat er eine Tenure Track Professur für Angewandte Elektrochemie am Karlsruher Institut für Technologie an. Seit Mitte 2023 ist er Professor für Digitale Katalyse an der TU München.
PRESSEKONTAKT
Cluster e-conversion (Public Outreach)
Dr. Caroline Zörlein
Technische Universität München
Phone: +49 (0)89 289 52779
Originalartikel: https://www.e-conversion.de/ai-boost-for-battery-research/
WISSENSCHAFTLICHER KONTAKT
Technische Universität München
Professur für Digitale Katalyse