Das Universum ist voller Geheimnisse. Eines davon sind aktive Galaxien, in deren Zentrum sich gigantische Schwarze Löcher befinden. „Wir wissen bis heute nicht genau, welche Prozesse sich dort abspielen“, erklärt Elisa Resconi, Professorin für Experimental Physics with Cosmic Particles an der TUM. Ihr Team ist der Auflösung dieses Rätsels jetzt einen großen Schritt nähergekommen: In der Spiralgalaxie NGC 1068 haben die Astrophysiker:innen eine Quelle hochenergetischer Neutrinos aufgespürt.
Mit Teleskopen, die Licht, Gamma- oder Röntgenstrahlen aus dem All auffangen, ist es sehr schwierig, die aktiven Zentren von Galaxien zu erforschen, weil Wolken aus kosmischem Staub und heißem Plasma die Strahlung absorbieren. Dem Inferno am Rande Schwarzer Löcher entkommen nur Neutrinos, die so gut wie keine Masse und auch keine elektrische Ladung haben. Sie durchdringen den Raum, ohne durch elektromagnetische Felder abgelenkt oder absorbiert zu werden. Deshalb sind sie auch so schwer zu detektieren.
Die größte Hürde bei der Neutrino-Astronomie war bisher die Trennung des sehr schwachen Signals von dem starken Hintergrundrauschen durch Teilcheneinschläge aus der Erdatmosphäre. Erst die langjährigen Messungen des IceCube Neutrino Observatory und neue statistische Methoden ermöglichten Resconi und ihrem Team genügend Neutrino-Ereignisse für ihre Entdeckung.
Detektivarbeit im ewigen Eis
Das IceCube-Teleskop, das sich im Eis der Antarktis befindet, detektiert seit 2011 Leuchtspuren einfallender Neutrinos. „Aus ihrer Energie und ihrem Einfallswinkel können wir rekonstruieren, woher sie kommen“, erklärt TUM-Wissenschaftler Dr. Theo Glauch. „Die statistische Auswertung zeigt eine hochsignifikante Häufung von Neutrino-Einschlägen aus der Richtung, in der sich die aktive Galaxie NGC 1068 befindet. Damit können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die hochenergetische Neutrino-Strahlung aus dieser Galaxie kommt.“
Die Spiralgalaxie, 47 Millionen Lichtjahre entfernt, wurde bereits im 18. Jahrhundert entdeckt. NGC 1068 – auch bekannt unter dem Namen Messier 77 – ist in Form und Größe unserer Galaxie ähnlich, hat aber ein leuchtend helles Zentrum, das heller strahlt als die gesamte Milchstraße, obwohl es nur in etwa so groß ist wie unser Sonnensystem. In diesem Zentrum befindet sich ein „aktiver Kern“: ein gigantisches Schwarzes Loch von etwa 100 Millionen Sonnenmassen, das große Mengen von Materie aufsaugt.
Doch wo und wie entstehen dort Neutrinos? „Wir haben ein klares Szenario “, antwortet Resconi. „Wir denken, dass die hochenergetischen Neutrinos das Ergebnis einer extremen Beschleunigung sind, die Materie in der Umgebung des Schwarzen Lochs erfährt und dadurch auf sehr hohe Energien beschleunigt wird. Aus Experimenten in Teilchenbeschleunigern wissen wir, dass hochenergetische Protonen Neutrinos erzeugen, wenn sie mit anderen Teilchen zusammenstoßen. Mit anderen Worten: Wir haben einen kosmischen Beschleuniger gefunden.“
Neutrino-Observatorien für eine neue Astronomie
NGC 1068 ist die statistisch signifikanteste Quelle hochenergetischer Neutrinos, die bisher entdeckt wurde. „Um auch schwächere und weiter entfernte Neutrino-Quellen lokalisieren und erforschen zu können, seien mehr Daten erforderlich“, betont Francis Halzen, IceCube Initiator und Ehrenprofessor der TUM. Das geplante IceCube-Observatorium der zweiten Generation – IceCube-Gen2 – soll zusammen mit dem mehrere Kubikkilometer große Pacific Ocean Neutrino Experiment, P-ONE, für dessen Bau Elisa Resconi unlängst eine internationale Initiative gestartet hat, die Daten für eine künftige Neutrino-Astronomie liefern.
Veröffentlichung
IceCube Collaboration
Evidence for neutrino emission from the nearby active galaxy NGC1068
Erschienen in: Science, 3. November 2022
DOI: 10.1126/science.abg3395
Kontakt
Prof. Elisa Resconi
Technische Universität München
Lehrstuhl für Experimental Physics with Cosmic Particles
+49 (89) 289 – 12422
elisa.resconi(at)tum.de