Die Neutrinos geben den Teilchenphysikern große Rätsel auf. Ihre Eigenschaften erscheinen mysteriös und weisen auf bislang unverstandene Physik jenseits des etablierten Standardmodells der Teilchenphysik hin. Bislang wissen wir, dass Neutrinos eine sehr kleine Masse besitzen, jedoch ist uns ihr genaues Gewicht genauso unbekannt, wie die Antwort auf die Frage, welche der drei bekannten Neutrino-Sorten die leichteste und welche die schwerste ist. Doch genau die Frage nach der so genannten Neutrino-Massenordnung ist eine der vordringlichsten in der aktuellen Forschung. Zu ihrer Klärung begannen in China im Jahr 2015 die Bauarbeiten für das jetzt in Betrieb gegangene Jiangmen Untergrund Neutrino Observatorium (JUNO).
Die Acrylglaskugel ist mit 20.000 Tonnen flüssigem Detektormaterial gefüllt
Der zentrale Detektor besteht aus der größten jemals von Menschen hergestellten Kugel aus Acrylglas. Diese weist einen Durchmesser von 34,5 Metern bei einer extrem geringen Wandstärke von 12 cm auf, was sie besonders lichtdurchlässig macht. Diese Kugel, in der ein typischer bayerischer Kirchturm leicht Platz fände, wird derzeit mit 20.000 Tonnen einer hoch-reinen organischen Szintillationsflüssigkeit gefüllt. Wechselwirken elementare Teilchen wie zum Beispiel Neutrinos mit dieser Flüssigkeit, entstehen schwache blaue Lichtblitze, die von 43.000 Photosensoren registriert werden. Mit seinen 20.000 Tonnen Szintillator ist JUNO zwanzig Mal größer als bisherige Detektoren dieser Art. Zur Abschirmung von kosmischer Strahlung befindet sich JUNO 700 Meter unter der Erde in einem Becken, das mit 35.000 Tonnen höchst reinem Wasser gefüllt ist. Ebenso dämpft es die natürliche Radioaktivität des umgebenden Gesteins und unterdrückt sie mittels 2200 zusätzlichen Photosensoren auch aktiv.
JUNO liegt in gleichem Abstand zu zwei Kernreaktoren
JUNO liegt in gleicher Distanz (53 km) zu acht Kernreaktoren der Kraftwerke in Taishan und Yangjiang, was die Messung der Neutrino-Massenordnung erst ermöglicht. Dazu detektieren die Forscherinnen und Forscher das Licht, das die Reaktor-Neutrinos bei der Wechselwirkung im Szintillator erzeugen, mit bisher unerreichter Präzision. Pro Tag werden etwa 45 solcher Ereignisse erwartet. Auf diese Weise entsteht so mit der Zeit ein detailliertes Spektrum, das die Information über die Neutrino-Massenordnung als Feinstruktur enthält.
JUNO ermöglicht die ersten Schritte in eine neue Ära der Neutrino-Physik
„Durch die zu erwartende Energieauflösung des Detektors sowie die hohe Ereignisrate sind wir nun erstmals in der Lage diese Feinstruktur sehen zu können", sagt Prof. Lothar Oberauer, langjähriger Leiter der JUNO-Gruppe an der TUM. „Mit JUNO werden wir Messung von Neutrino-Eigenschaften mit Unsicherheiten weit unter einem Prozent durchführen und so erste Schritte in eine neue Ära der Neutrinophysik machen.“
„In sechs Jahren sind wir in der Lage, die Frage nach der Neutrino-Massenordnung zu beantworten. Darüber hinaus, werden wir viele weitere Eigenschaften der Neutrinos mit besonders hoher Genauigkeit bestimmt haben“, ergänzt Dr. Hans Steiger, seit Oktober 2024 neuer Leiter des TUM JUNO-Teams und Teilprojektleiter am Sonderforschungsbereich 1258 der TUM. „Erste Ergebnisse erwarten wir aber schon nach wenigen Wochen. Die nächsten Monate werden in der Neutrinophysik also besonders spannend.“
Das Forschungsprogramm umfasst auch Beiträge zu Astronomie und Geologie
Außerdem seien von JUNO weitere wichtige Messungen auf verschiedenen Gebieten zu erwarten, so die beiden Wissenschaftler. Hierzu gehören Beiträge zur Astronomie, wie zum Beispiel zur Physik von sterbenden Riesensternen (Supernovae), und zur Geologie mit Neutrinos, die einen besonders tiefen Einblick in das innere unseres Planeten erlauben.
Zur JUNO-Kollaboration gehören knapp 700 Wissenschaftler von 69 Institutionen aus 16 Nationen. In Deutschland beteiligen sich neben der TU München auch die Universitäten in Mainz, Aachen, Hamburg und Tübingen sowie die Helmholtz-Gesellschaft am Experiment.
Kontakt:
Dr. Hans Steiger
Technische Universität München
School of Natural Sciences, Physik Department
Sonderforschungsbereich 1258 ‚Neutrinos und Dunkle Materie in Astro- und Teilchenphysik‘
E-Mail: hans.steiger@tum.de