Warum verstummen manche Neuronen bei Alzheimer? Wie lassen sich Teilchensimulationen beschleunigen? Wie viel CO2 können Bäume in Dürrezeiten speichern? Diesen und anderen Fragen widmen sich sechs Forschungsprojekte an der Technischen Universität München (TUM), die künftig mit den renommierten ERC Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (European Research Council) gefördert werden.
Forschende der TUM haben seit 2007 insgesamt 254 ERC Grants eingeworben. Diese werden jährlich in verschiedenen Kategorien vergeben. Mit Starting Grants unterstützt der ERC exzellente Forschende, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Sie sind mit bis zu 1,5 Millionen Euro dotiert.
Prof. Dr. Lukas Heinrich
Die Teilchenphysik untersucht die grundlegenden Fragen des Universums: woraus besteht die Welt, was hält sie im Innersten zusammen, was ist dunkle Materie und können wir sie im Labor herstellen? Um solche Rätsel zu lösen, werden Teilchen mit fast Lichtgeschwindigkeit 40 Millionen Mal pro Sekunde zur Kollision gebracht und mit circa 100 Millionen Einzelsensoren vermessen. KI-gestützte Algorithmen sind der Schlüssel um mit dieser Datenflut zurechtzukommen - aber die benötigen viele simulierte Trainingsdaten. Die Simulationsrechnungen, die zur Zeit extrem rechenintensiv und langsam sind, werden so zu einem Hindernis für neue Entdeckungen. Genau hier setzt das Projekt LEGO von Prof. Lukas Heinrich an: Er will den Prozess deutlich beschleunigen und aus jeder einzelnen Simulation wesentlich mehr Information extrahieren. Hierfür nutzt er ein neuartiges Verfahren, das ähnlich wie KI-Sprachmodelle arbeitet: Es sagt direkt das nächste wahrscheinliche Teilchen voraus. Damit könnten künftig nicht nur existierende Daten genauer untersucht werden, sondern auch wesentlich effektivere Teilchendetektoren entwickelt werden: Die Chancen auf bahnbrechende physikalische Erkenntnisse steigen.
Lukas Heinrich ist Professor für Data Science in Physik an der TUM School of Natural Sciences und eines der Kernmitglieder des Munich Data Science Institute (MDSI).
Prof. Dr. Christopher J. Stein
Eine der größten Herausforderungen im Klimaschutz ist es, den Anteil des Treibhausgases CO₂ in der Atmosphäre zu verringern. Besonders wünschenswert wäre es, das in Industrieanlagen oder im Verkehr entstehende CO₂ durch chemische Prozesse in nützliche Stoffe umzuwandeln – etwa direkt in synthetische Treibstoffe oder in umweltfreundliche Grundstoffe für die Kunststoffproduktion. Für solche Umwandlungen braucht man geeignete Katalysatoren, also Substanzen, die diese chemischen Umwandlungen essentiell beschleunigen. Die Suche nach vielversprechenden neuartigen Katalysatoren erfolgt heute zum großen Teil mit anspruchsvollen Computersimulationen. Aktuelle Methoden bilden die realen Bedingungen jedoch oft nur stark vereinfacht ab, was häufig zu kostspieligen Fehlversuchen führt. Im Projekt HeliECat will Prof. Christopher J. Stein mithilfe von quantenchemischen Modellen und künstlicher Intelligenz die Simulationen deutlich realitätsnäher gestalten. Auf diese Weise soll sich die Wirkung von Katalysatoren zuverlässiger vorhersagen lassen – ein wichtiger Schritt für wirksameren Klimaschutz.
Christopher J. Stein ist Professor für Theoretische Chemie an der TUM School of Natural Sciences.
Prof. Dr. Niki Kilbertus
Viele globale Herausforderungen – von Klimawandel über Gesundheitsversorgung bis hin zur Pandemievorsorge – betreffen Systeme, in denen schon kleine Veränderungen weitreichende Folgen haben können. Um zu verstehen, wie Interventionen Ergebnisse in solch komplexen Dynamiken beeinflussen, braucht es verlässliche „Wenn-Dann“-Schlüsse. Traditionelle mathematische Modelle dynamischer Systeme vereinfachen diese Prozesse oft zu stark, während rein datengetriebene maschinelle Lernmodelle zwar leistungsfähig, aber schwer interpretierbar und nur eingeschränkt übertragbar sind. Das Projekt DYNAMICAUS unter der Leitung von Niki Kilbertus schließt diese Lücke, indem es Methoden des maschinellen Lernens mit strengen mechanistischen Modellen und Verfahren der kausalen Inferenz kombiniert.
Niki Kilbertus ist Professor für AI for Scientific Modeling an der TUM School of Computation, Information and Technology und Gruppenleiter bei Helmholtz AI von Helmholtz Munich. Darüber hinaus ist er Principal Investigator des Munich Center for Machine Learning.
PD Dr. Jan Peeken
Strahlentherapie wird bei rund der Hälfte aller Krebspatientinnen und -patienten eingesetzt. Für den Behandlungserfolg ist entscheidend, das Zielvolumen – also sämtliches zu bestrahlendes Tumorgewebe – millimetergenau festzulegen, während gesundes Gewebe geschont bleibt. In seinem Projekt AI-PIONEER entwickelt PD Dr. Jan Peeken dafür eine KI-Lösung, die modernste 3D-Segmentierungsalgorithmen mit den Wissensfähigkeiten großer Sprachmodelle verbindet. Sie führt wissenschaftliche Evidenz, individuelle Daten von Patienten und Patientinnen und hochaufgelöste 3D-Bildgebung automatisch zusammen und übersetzt sie in personalisierte Zielvolumina, die behandelnde Ärztinnen und Ärzte interaktiv anpassen können. Dies könnte die dazu beitragen flächendeckend eine hohe Behandlungsqualität vor dem Hintergrund steigender Krebszahlen zu sichern.
Privatdozent Dr. Jan Peeken ist Geschäftsführender Oberarzt in der Klinik für RadioOnkologie des TUM Klinikums.
Prof. Dr. Richard L. Peters
Bäume und Wälder spielen eine Schlüsselrolle im globalen Wasser- und Kohlenstoffkreislauf und sind durch ihre Fähigkeit, CO2 in Holz zu binden, ein wesentlicher Faktor in Klimamodellen und internationalen Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels. Doch wie genau regulieren Bäume ihre Wassernutzung bei Dürre? Was bedeutet das für das Holzwachstum? Und wie viel CO2 können sie angesichts zunehmender Trockenperioden tatsächlich binden? Diese Fragen sind bislang vor allem im Hinblick auf Blätter erforscht worden – der mit dem Holzwachstum verbundene Wasserbedarf wurde nicht betrachtet. Somit ist nicht sicher, wie effektiv die bisher getroffenen politischen Maßnahmen sein werden. Richard L. Peters möchte das ändern. In früheren Studien konnte er nachweisen, dass Bäume bei Trockenheit weniger CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen als angenommen. Mit dem Projekt STEMCELL wird er diese Forschung vertiefen. Ziel ist es, ein Framework zu entwickeln, dass die Ergebnisse in Wachstums- und Klimamodelle integrieren kann. So soll eine belastbare empirische Grundlage entstehen, die verlässlichere Berechnungen ermöglicht und als Leitlinie für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen dienen kann.
Richard L. Peters ist Professor für Tree Growth and Wood Physiology an der TUM School of Life Sciences.
Dr. Benedikt Zott
Gehirnzellen von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer zeigen charakteristische Aktivitätsmuster – oft schon Jahrzehnte bevor klassische Symptome wie Gedächtnisprobleme auftreten. Zum einen sind manche Neuronen zu diesem frühen Zeitpunkt sozusagen hyperaktiv. Die Mechanismen dahinter sind bereits recht gut verstanden. Später treten dagegen immer mehr Neuronen auf, die weniger aktiv sind und schließlich ganz verstummen. Diesen widmet sich Dr. Benedikt Zott in seinem Forschungsprojekt MONSil-AD. In Mausmodellen will er erforschen, ob das Verstummen der Neuronen damit zusammenhängt, dass diese Verbindungen zu anderen Neuronen verlieren. Außerdem interessiert ihn, welche Rolle die für Alzheimer typischen Ablagerungen des Tau-Proteins für die Funktion einzelner Gehirnzellen spielen. Zudem will Dr. Zott prüfen, ob das Protein sTREM2 mitverantwortlich für das Verstummen der Nervenzellen ist. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könnte dazu beitragen, neue Ansätze für Alzheimer-Medikamente zu finden.
Dr. Benedikt Zott forscht am Institut für Neuroradiologie des TUM Klinikums und am Institut für Neurowissenschaften der TUM.
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Originalartikel: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/sechs-erc-starting-grants-fuer-forschende-der-tum