Blues, Rock’n Roll, Charleston. Wenn drei Teams gleichzeitig zu unterschiedlichen Rhythmen tanzen, kann kaum etwas Gutes dabei rauskommen – sollte man meinen. Doch sind es Atomgruppen, die miteinander im Kristallgitter „swingen“, kann das tatsächlich sehr positive Effekte mit sich bringen. Das stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU München fest, als sie ein aussichtsreiches Material für die Energiewende genauer unter die Lupe nahmen: den Halbleiter Kupfertantalnitrid (CuTaN2). „Dass die Verbindung, sichtbares Licht sehr gut absorbiert und elektrische Ladungen transportieren kann, war uns zwar aus der Literatur bekannt. Doch die genauen Gründe dafür konnten wir jetzt durch unsere Untersuchungen aufzeigen – und zwar auf atomarem Level“, sagt Postdoktorandin Dr. Franziska Hegner, die in den Teams von Prof. David Egger und Prof. Ian Sharp am Physik-Department und am Walter-Schottky Institut arbeitet. Die Forschung der Gruppe wird unter anderem vom Exzellenzcluster e-conversion gefördert.
Atome in der optimalen Gitter-Choreographie
Die Chemikerin entschlüsselte sozusagen die genauen Tanzrhythmen der einzelnen Atomgruppen und veröffentlichte die Ergebnisse kürzlich im Fachmagazin Advanced Energy Materials. Sie führte dichtefunktionaltheoretische und molekulardynamische Berechnungen durch und untersuchte das Halbleitermaterial mit speziellen schwingungsspektroskopischen Methoden (Raman-Messungen). Letztere führte Hegner am israelischen Weizman Institute of Science in der Gruppe von Prof. Omer Yaffe durch, weil sich dort besonders die niederfrequenten Vibrationen der Atome analysieren lassen. Die Forscherin stellte fest, dass es vor allem anharmonische Schwingungen sind, die die Struktur und damit das Eigenschaftsprofil des Halbleiters bestimmen. Was Hegner vor allem überraschte: „Man könnte ja annehmen, dass diverse unregelmäßige Schwingungen das CuTaN2-Kristallgitter instabiler machen, aber das Gegenteil ist der Fall“, sagt die Chemikerin. Die besondere Choreographie der Atome ist zudem die Ursache dafür, dass Kupfertantalnitrid nicht exakt der symmetrischen Delafossit-Struktur entspricht, wie es in der Literatur beschrieben ist. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass dieses Kristallgitter aufgrund der Atomdynamik bereits bei Raumtemperatur nicht stabil ist. Allein das ist schon eine Besonderheit.“ Die Delafossit-Struktur ist also verzerrt – und das hat wiederum Auswirkungen auf die Materialeigenschaften. „Die dynamische Verzerrung verändert die Bandlücke des Kupfertantalnitrids und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Halbleiter sichtbares Licht absorbiert“, ergänzt Prof. David Egger. Dass dieses Zusammenspiel existiert, ist eines der zentralen Ergebnisse der Forschungsarbeit.
Mit Synthesetricks zum Ziel
Unterstützt wurde das TUM-Forschungsteam tatkräftig von Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München: Dr. Stefan Rudel, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Wolfgang Schnick, die sich unter anderem auf die Synthese von Nitriden spezialisiert hat, stellte das CuTaN2 her. Der Herstellungsprozess ist anspruchsvoll und basiert auf einer Synthesevorschrift aus den 1990er Jahren. Zudem modifizierte Rudel einzelne Schritte, um ein sehr sauberes Produkt gewinnen zu können. Kopfzerbrechen bereitete dem Chemiker vor allem die Sauerstoff-Verliebtheit des Tantals. So konnte er die für ähnliche Festkörperreaktionen üblichen Gefäße, sogenannte Korund-Schiffchen, in denen die Ausgangssubstanzen platziert werden, nicht nutzen. Der Grund: Das für die Synthese benötigte Natriumtantalnitrid wird unter harschen Reaktionsbedingungen hergestellt, bei denen selbst diesem sehr stabilen Aluminiumoxid-Gefäß die Sauerstoffatome entzogen werden. Deswegen legte Rudel die Edukte – Natrium und Tantalnitrid – stattdessen in einem Kupferrohr vor. Nur dann bildet sich bei der folgenden Ionenaustauschreaktion mit Kupferiodid sauberes Kupfertantalnitrid. Während der Reaktion, die bei mehr als 400 Grad Celsius stattfindet, wandern die Kupferionen in die Struktur und verdrängen das Natrium. Das resultierende CuTaN2 ist ein braunschwarzes Pulver aus rund 200 Nanometer kleinen, trapezförmigen Kristallen.
Zukunftspotenzial: Maßgeschneiderte Nitrid-Halbleiter
Röntgenbeugung und elektronenmikroskopische Aufnahmen bestätigten den Forschern, dass sie das Halbleitermaterial erfolgreich hergestellt hatten. „Für uns war es ein großes Glück, dass wir durch die Kooperation innerhalb des e-conversion Clusters auf das LMU-Team aufmerksam wurden und so das Kupfertantalnitrid in dieser reinen Form nutzen konnten“, sagt TUM-Chemikerin Hegner. „Nur so konnten wir unsere aussagekräftigen Untersuchungen durchführen und feststellen, welch großen Einfluss die atomare Dynamik auf die Halbleitereigenschaften und vor allem auf die Lichtabsorption hat.“ Gleichzeitig zeigen die Forschungsteams weitere Möglichkeiten in ihrem Paper auf. „Wir erhalten zudem wichtige Informationen, wie wir CuTaN2 und ähnliche chemische Verbindungen für Anwendungen, die Licht in elektrische Energie umwandeln, maßschneidern können“, fasst Egger zusammen.
Publikation:
The Critical Role of Anharmonic Lattice Dynamics for Macroscopic Properties of the Visible Light Absorbing Nitride Semiconductor CuTaN2, Adv. Energy Mat.
F. Hegner, A. Cohen, S. Rudel, S. Kronawitter, M. Grumet, X. Zhu, R. Korobko, L. Houben, C. Jiang, W. Schnick, G. Kieslich, O. Yaffe, I. Sharp, D. Egger
https://doi.org/10.1002/aenm.202303059
Kontakt:
Dr. Franziska Hegner
Technische Universität München
Physik-Department
Prof. Dr. David Egger
Technische Universität München
Physik Department
Webseite: https://theofem.de/